- von Can Sezer und Orhan Coskun Istanbul/Ankara (Reuters) - Der erste Schiffstransport von Getreide aus der Ukraine nach monatelanger Blockade durch die russischen Streitkräfte kommt türkischen Angaben zufolge wie geplant voran.
– von Can Sezer und Orhan Coskun
Istanbul/Ankara (Reuters) – Der erste Schiffstransport von Getreide aus der Ukraine nach monatelanger Blockade durch die russischen Streitkräfte kommt türkischen Angaben zufolge wie geplant voran.
Der Frachter “Razoni” werde in der Nacht zu Mittwoch in Istanbul erwartet, es gebe nur eine geringfügige Verzögerung aufgrund von schlechtem Wetter, sagte der türkische General Özcan Altunbudak am Dienstag bei einer Pressekonferenz der Gemeinsamen Koordinierungsstelle für die Getreide-Exporte aus der Ukraine. Es ist die erste Getreide-Ladung über einen ukrainischen Schwarzmeer-Hafen seit dem russischen Angriff auf das Land Ende Februar. Die Türkei rechnet damit, dass in nächster Zeit in etwa ein Frachtschiff pro Tag für weitere Exporte die Ukraine verlassen kann.
Millionen Tonnen Getreide hängen seit Monaten in der Ukraine am Schwarzen Meer fest. Unter Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen (UN) hatten die Kriegsparteien zuletzt ein Abkommen unterzeichnet, das die Wiederaufnahme der Exporte vorsieht. Über sichere Routen sollen aus drei Häfen Ausfuhren möglich werden. Die Ukraine zählte – wie Russland – bisher zu den weltgrößten Getreide-Exporteuren. Die Häfen am Schwarzen Meer wie Odessa konnten wegen der Blockade durch die russischen Streitkräfte aber nicht wie gewohnt genutzt werden. Das hat bereits zu steigenden Preisen und Engpässen vor allem in ärmeren Ländern geführt.
“Wenn nichts schiefgeht, sollten Ausfuhren mit einem Schiff pro Tag für eine Weile möglich sein”, sagte ein hochrangiger türkischer Regierungsvertreter, der nicht namentlich genannt werden wollte, der Nachrichtenagentur Reuters. Sie sollen helfen, eine Lebensmittelkrise zu verhindern. Die UN sehen bereits in diesem Jahr das Risiko von Hungersnöten als Folge des Krieges. Das Abkommen zu den Getreide-Exporten, das auch Düngemittel umfasst, ist einer der wenigen diplomatischen Erfolge im Krieg bislang gewesen.
Die “Razoni” war am Montag ohne Zwischenfälle in Odessa ausgelaufen. Sie transportiert rund 26.500 Tonnen Getreide und soll dieses in den Libanon bringen. Am Dienstagvormittag mitteleuropäischer Zeit befand sich das Schiff im westlichen Teil des Schwarzen Meeres unweit des rumänischen Donau-Deltas. Gegen Mitternacht lokaler Zeit werde die Ankunft in Istanbul erwartet, so General Altunbudak. Laut türkischem Verteidigungsministerium sollen dann Vertreter Russlands, der Ukraine, der Türkei und der UN das Schiff unter die Lupe nehmen. Dies ist Teil der Vereinbarung, um russische Bedenken über Waffenschmuggel zu zerstreuen.
RUSSLAND UND UKRAINE EINIG: POSITIVES SIGNAL
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach am Montagabend in seiner täglichen Video-Botschaft von einem ersten positiven Signal. Es sei aber zu früh, um Schlussfolgerungen zu ziehen. “Wir können uns nicht der Illusion hingeben, dass sich Russland einfach zurückhält und nicht versuchen wird, ukrainische Exporte zu stören.” Der Sprecher des russischen Präsidialamts, Dmitri Peskow, sprach ebenfalls von sehr positiven Nachrichten. Russland hat jede Schuld für Lebensmittelengpässe zurückgewiesen, macht vielmehr die Sanktionen des Westens für fehlende Exporte verantwortlich.
Peskow zufolge wird Russlands Präsident Wladimir Putin am Freitag bei einem Gespräch mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan in Sotschi auch das Getreide-Abkommen thematisieren. Es werde darum gehen, wie effektiv die Vereinbarung sei. Sie muss nach 120 Tagen erneuert werden.
Die “Razoni” fährt unter der Flagge der westafrikanischen Republik Sierra Leone. Ziel des Frachters ist der Hafen von Tripoli im Libanon.
Russland hat unterdessen eigenen Angaben zufolge ukrainische Streitkräfte in den Regionen Mykolajiw und Charkiw angegriffen. Dabei habe es auch Tote gegeben, teilt das russische Verteidigungsministerium mit. Zudem haben die russischen Streitkräfte laut Verteidigungsminister Sergej Schoigu in der Ukraine inzwischen insgesamt sechs von den USA gelieferte HIMARS-Raketenwerfer zerstört. Zudem seien fünf Anti-Schiff-Raketensysteme vom Typ Harpoon und 33 M777-Haubitzen zerstört worden, zitierte die russische Nachrichtenagentur Interfax Schoigu. Ukrainische Vertreter hatten zuletzt erklärt, bis zu einem Dutzend HIMARS-Mehrfachraketenwerfer im Einsatz zu haben. Dieses Waffensysteme haben eine größere Reichweite und sind präziser als die noch aus Sowjetzeiten stammende Artillerie der Ukraine.
Der Oberste Gerichtshof in Russland stufte das ukrainische Asow-Regiment als Terrorgruppe ein. Die Freiwilligen-Einheit hat ultranationalistische und rechtsextreme Wurzeln, sie hat sich aber vor geraumer Zeit von seinem rechtsradikalen Gründer getrennt. Die russische Führung verweist immer wieder auf das Asow-Regiment, um ihre Behauptung zu untermauern, sie bekämpfe Neonazis in der Ukraine. Dort ist das Asow-Regiment eine der bekanntesten militärischen Formationen, die gegen russische Truppen im Osten der Ukraine kämpfen. Angehörige des Asow-Regiments haben lange im Asow-Stahlwerk in der südukrainischen Hafenstadt Mariupol ausgeharrt. Nach Wochen der Belagerung ergaben sich die Kämpfer der russischen Übermacht und wurden gefangengenommen.
(Geschrieben von Christian Krämer, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)
Reuters, die Nachrichten- und Medienabteilung von Thomson Reuters, ist der weltweit größte internationale Multimedia-Nachrichtenanbieter, welche täglich mehr als eine Milliarde Menschen erreicht. Reuters bietet zuverlässige Geschäfts-, Finanz-, nationale und internationale Nachrichten über Thomson Reuters-Desktops, der weltweiten Medienorganisationen, sowie direkt an Verbraucher auf Reuters.com und über Reuters TV.