Kiew (Reuters) - Mitten im erbitterten Kampf um die ostukrainische Stadt Bachmut erhöht die dort eingesetzte Söldner-Gruppe Wagner den Druck auf die Regierung in Moskau.
Kiew (Reuters) – Mitten im erbitterten Kampf um die ostukrainische Stadt Bachmut erhöht die dort eingesetzte Söldner-Gruppe Wagner den Druck auf die Regierung in Moskau.
Wenn Wagner-Truppen nicht bald die im Februar versprochene Munition geliefert bekämen und sich deshalb zurückziehen müssten, drohe die gesamte Front zusammenzubrechen, erklärte Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin auf Telegram. Mit Blick auf ausbleibende Munitionslieferungen fügte er hinzu: “Im Moment versuchen wir herauszufinden, was der Grund dafür ist: Ist es nur gewöhnliche Bürokratie oder ein Verrat.” Prigoschin hat wiederholt scharfe Kritik an Verteidigungsminister Sergej Schoigu geübt. Dieser besuchte am Montag die Stadt Mariupol, die russische Truppen nach langer Belagerung eroberte hatten.
Derzeit wird in der Ukraine besonders heftig um Bachmut gekämpft. Für Russland wäre die Einnahme der Stadt der erste Triumph in einer nach Mobilmachung Hunderttausender Reservisten gefürchteten Winter-Offensive. Bachmut gilt der Regierung in Moskau als strategisch wichtig für die vollständige Eroberung des Donbass – einem der wichtigsten Ziele Russlands in dem vor gut einem Jahr begonnenen Krieg.
UKRAINISCHER KOMMANDEUR IN BACHMUT: “ZIEMLICH DIE HÖLLE”
Das ukrainische Militär erklärte am Montag, am Sonntag seien 95 Angriffe in der Region Bachmut abgewehrt worden. Zugleich wurden aber auch Vorstöße der russischen Truppen nördlich von Bachmut eingeräumt. Wolodymyr Nasarenko, ein ukrainischer Kommandeur in Bachmut, erklärte auf dem Kurznachrichtendienst Telegram, die Verteidigung halte, auch wenn die Lage kritisch sei. “Die Situation in Bachmut und Umgebung ist ziemlich die Hölle, wie auf der ganzen Ostfront.” Aber es habe keinen Befehl zum Rückzug gegeben.
Wagner-Chef Prigoschin hatte bereits in den vergangenen Wochen scharf kritisiert, dass seine weitgehend autonom agierenden Truppen von Russland nicht mit ausreichend Munition beliefert würden. Am Wochenende erklärte er, seine Truppen fürchteten, die Regierung in Moskau wolle sie zum Sündenbock machen, sollte Russland den Krieg verlieren. Vor knapp zwei Wochen hatte Prigoschin Verteidigungsminister Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow Hochverrat vorgeworfen, weil sie absichtlich den Wagner-Einheiten keine Munition zukommen ließen und ihnen auch beim Lufttransport Hilfe verweigerten.
Nun erhöhte Prigoschin den Druck erneut. “Wenn Wagner sich jetzt aus Bachmut zurückzieht, wird die gesamte Front zusammenbrechen”, sagte der Söldner-Chef. “Die Situation wird für alle militärischen Formationen, die russische Interessen schützen, nicht schön sein.”
UKRAINE: BEFEHLSVERWEIGERUNGEN IN RUSSLANDS 155. BRIGADE
Nicht nur Prigoschin, sondern auch Kommentatoren und Kriegsverfechter in Russland haben Verteidigungsminister Schoigu für den Verlauf des Krieges kritisiert, der nicht den raschen Sieg, dafür aber mehrere herbe Rückschläge brachte. Bisher hat Schoigu selten die russischen Truppen in der Ukraine besucht. Nun war er vor seiner Visite in Mariupol am Montag bereits am Wochenende auf Truppenbesuch. Schoigu habe einen vorgelagerten Gefechtsstand in der Region Süd-Donezk inspiziert, teilte sein Ministerium mit. In einem von dem Ministerium veröffentlichten Video ist Schoigu zu sehen, wie er Soldaten Orden verleiht. In einem zweiten leitet er ein Treffen von Offizieren.
Unterdessen erklärte das ukrainische Militär, dass Kommandeure von Russlands 155. Brigade, die bei der Stadt Wuhledar südlich von Bachmut im Einsatz sind, Befehle verweigerten. Laut der Ukraine hat Russland dort zuletzt schwere Verluste erlitten. Hochrangige Offiziere weigerten sich nun, Anordnungen von ungeschulten Befehlshabern zu befolgen, “nämlich gut verteidigte ukrainische Stellungen ohne jeglichen Schutz oder Vorbereitung zu stürmen”.
Die Darstellung konnte – ebenso wie Berichte über das Kampfgeschehen – zunächst nicht unabhängig überprüft werden. Russland war am 24. Februar 2022 in die benachbarte Ex-Sowjetrepublik einmarschiert und hat sein Vorgehen als Sondereinsatz mit dem Ziel bezeichnet, militärische Kapazitäten zu zerstören sowie gegen als gefährlich eingestufte Nationalisten vorzugehen. Die Ukraine und ihre Verbündeten sprechen von einem Angriffskrieg.
(Bericht von Nick Starkov, geschrieben von Katharina Loesche und Elke Ahlswede, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)
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