Brüssel/Berlin (Reuters) - Bundesfinanzminister Christian Lindner rechnet nicht mit einer schnellen Reform der europäischen Schuldenregeln.
Brüssel/Berlin (Reuters) – Die europäischen Finanzminister haben ein Grundgerüst zur Reform der Schuldenregeln in der EU beschlossen.
Wie von der EU-Kommission vorgeschlagen soll künftig stärker auf die einzelnen Bedürfnisse der Mitgliedsstaaten eingegangen werden. Der Abbau von Schulden soll zudem mit Reformen und Investitionen verknüpft werden, wie die schwedische EU-Ratspräsidentschaft am Dienstag mitteilte. Bundesfinanzminister Christian Lindner sprach in Brüssel von einer Bestandsaufnahme, nicht aber einem Freifahrtsschein für die EU-Kommission. Weitere Beratungen seien noch nötig.
EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis sagte, die 27 EU-Finanzminister wären bei ihren Beratungen am Dienstag einen Schritt nach vorne gegangen. Geplant seien glaubwürdigere und einfachere Regeln, die zudem besser durchgesetzt werden könnten. Allerdings seien dafür noch einige Details zu klären. Die Brüsseler Behörde will nach dem EU-Gipfel, der Ende nächster Woche angesetzt ist, Vorschläge zur Gesetzgebung für eine Reform der Schuldenregeln machen. Die Gesetzgebung solle noch dieses Jahr abgeschlossen werden. “Das ist ambitioniert, aber realistisch.”
Lindner rechnet nicht mit einer schnellen Umsetzung. “Es ist noch viel Arbeit zu tun.” Deutschland könne einer Reform erst zustimmen, wenn auch die technischen Details geklärt seien. Es gebe entsprechend keinen Freifahrtsschein für die EU-Kommission. Es brauche weitere Beratungen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und der Kommission. “Der Zug kann den Bahnhof erst verlassen, wenn sein Ziel klar ist.” Zumindest gebe es eine große Übereinstimmung in Europa, für stabile und nachhaltige Finanzen zu sorgen. “Dafür müssen die Haushaltsdefizite sinken und die Schuldenstände in Europa insgesamt reduziert werden.”
Umstritten ist noch die genaue Methodik zur Analyse der Schuldentragfähigkeit von Ländern, auf Basis derer die Kommission die individuellen Pläne aushandeln will. Ungeklärt ist zudem, ob es trotz individueller Abbaupfade gleiche Reduktionsvorgaben geben soll und wie hoch diese sein sollten.
Es brauche stabile Regeln, die auch zur Realität passten, sagte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni in Brüssel. In der Corona-Pandemie und zuletzt wegen der Energiekrise sind die Schulden vieler EU-Staaten sprunghaft gestiegen. Anpassungen bei den Regeln könnten für mehr Vertrauen sorgen, so Gentiloni.
Fest steht bereits, dass die bisherigen Obergrenzen zur Neuverschuldung bei drei Prozent der Wirtschaftsleistung und zum gesamten Schuldenstand bei 60 Prozent bleiben. Die Brüsseler Behörde will dann mit Ländern, die über diesen Werten liegen, individuelle Abbaupfade aushandeln. Damit würde der pauschale Ansatz für alle Länder aufgehoben oder zumindest aufgeweicht. Im Falle von Krisen könnten die Regeln ausgesetzt werden, wie dies seit 2020 der Fall ist und erst Ende dieses Jahres enden soll.
Spaniens Wirtschaftsministerin Nadia Calvino sagte, 2024 werde vermutlich ein Übergangsjahr. Die neuen Regeln sollten noch vor dem Jahresende 2023 beschlossen werden, dürften dann aber noch nicht vollständig 2024 zur Anwendung kommen.
(Bericht von Jan Strupczewski, Christian Krämer, Maria Martinez und Inti Landauro, redigiert von Christian Rüttger. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)
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