Berlin (Reuters) - Die führenden Institute rechnen wegen sinkender Energiepreise nicht mehr mit einer Rezession in Deutschland.
– von Maria Martinez und Rene Wagner
Berlin (Reuters) – Die führenden Institute rechnen wegen der allmählich nachlassenden Inflation nicht mehr mit einer Rezession in Deutschland.
Das Bruttoinlandsprodukt dürfte in diesem Jahr um 0,3 Prozent wachsen, heißt es in der am Mittwoch veröffentlichten Gemeinschaftsdiagnose für die Bundesregierung. Im Herbst war unter dem Eindruck der Energiekrise noch ein Minus von 0,4 Prozent veranschlagt und eine Rezession im gerade beendeten Winterhalbjahr erwartet worden, zu der es nun aber nicht komme. “Der konjunkturelle Rückschlag im Winterhalbjahr 2022/2023 dürfte glimpflicher ausgefallen sein als im Herbst befürchtet”, sagte der Konjunkturchef des Ifo-Instituts, Timo Wollmershäuser. “Maßgeblich ist ein geringerer Kaufkraftentzug infolge deutlich rückläufiger Energiepreise.” Für 2024 wird nun auch wegen der nachlassenden Inflation ein Wachstum von 1,5 Prozent erwartet, nach bislang 1,9 Prozent.
Bei der Inflation rechnen die Institute erst im kommenden Jahr mit einer merklichen Entspannung. Dann soll die Teuerungsrate auf 2,4 Prozent fallen, nach 6,0 Prozent in diesem Jahr. Zum Vergleich: 2022 betrug sie noch 6,9 Prozent. “Der Höhepunkt der Inflationswelle dürfte mittlerweile erreicht sein”, sagte Wollmershäuser. Das werde den privaten Konsum ab der zweiten Jahreshälfte anschieben, weil dann auch die Reallöhne wieder zulegen sollten. Als Konjunkturstütze sehen die Institute die Industrie, die von nachlassenden Lieferengpässen und der günstigeren Energie profitieren dürfte. Die Bauwirtschaft werde dagegen bremsen. “Besonders im Wohnungsbau wird die Nachfrage schwach bleiben, auch weil die Europäische Zentralbank ihren geldpolitischen Kurs weiter straffen wird und damit die Finanzierungskosten weiter steigen werden”, sagte Wollmershäuser.
“DIE RÄDER ÖLEN”
Von Konjunkturprogrammen, die das Wachstum anschieben könnten, halten die Ökonomen nichts. Die Finanzpolitik sollte die ohnehin recht hohe Inflation nicht noch mit weiteren Programmen zur Stimulierung der Nachfrage befeuern, warnte Wollmershäuser. Die Wachstumsaussichten Deutschlands würden dem Tempo einer Pferdekutsche gleichen, bei der die Zahl der Zugtiere zurückgehe, weniger Futter eingesetzt werden solle, aber gleichzeitig mehr Passagiere mit müssten, fügte Konjunkturchef Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hinzu. “In einer solchen Situation kommt es darauf an, die Räder zu ölen, Ballast abzuwerfen.” Das könne etwa durch eine Senkung der hohen Abgabenlast geschehen oder durch qualifizierte Zuwanderung. “Was nicht hilft sind Konjunkturprogramme”, sagte Kooths. “Konjunkturprogramme wären in diesem Bild nichts anderes als Peitschenhiebe.” Das bringe langfristig nichts, ebenso wie ein geldpolitisches Dauer-Doping durch niedrige Zinsen. Der Umbau der Wirtschaft Richtung Klimaneutralität werde nicht zu zusätzlichen Wachstumsimpulsen führen. Produktionskapazitäten in der Wirtschaft würden umgebaut, aber nicht unbedingt neue aufgebaut. Es gebe keine doppelte Dividende – mehr Klimaschutz und oben drauf noch ein Wachstumswunder. “Das ist leider eine Illusion”, sagte Kooths.
Gute Nachrichten halten die Institute für den Arbeitsmarkt parat. Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte weiter zunehmen, von rund 45,6 Millionen im vergangenen Jahr auf rund 46,0 Millionen im kommenden. Die Zahl der Arbeitslosen dürfte allerdings in diesem Jahr vorübergehend von 2,42 auf 2,48 Millionen zulegen, “da die ukrainischen Flüchtlinge nicht sofort auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen”. 2024 dürfte die Arbeitslosigkeit dann wieder sinken auf 2,41 Millionen.
Die Gemeinschaftsdiagnose dient der Bundesregierung als Basis für ihre Projektionen, die wiederum die Grundlage für die Steuerschätzung bilden. In ihrem im Januar veröffentlichten Jahreswirtschaftsbericht geht die Bundesregierung für das laufende Jahr von einem Wachstum von 0,2 Prozent aus. Am 26. April will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck seine aktualisierte Prognose vorstellen. Die Vorlage der Institute bestätige, dass es in der deutschen Wirtschaft trotz der enormen Belastungen und Unsicherheiten durch den russischen Angriffskriegs in der Ukraine und der damit einhergehenden Energiekrise gelungen sei, die Lage zu stabilisieren. “Deutschland hat die extremen Herausforderungen gemeistert”, sagte der grüne Vizekanzler. “Es hat gezeigt, was es kann und was möglich ist, wenn wir gemeinsam und entschlossen handeln.”
Erarbeitet wurde die Frühjahrsprognose vom RWI in Essen, vom Ifo-Institut in München, vom IfW in Kiel und vom IWH in Halle. Als Kooperationspartner fungieren das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) und das Institut für Höhere Studien Wien. Das Berliner DIW pausiert wegen des Umbaus der hauseigenen Konjunkturforschung, will aber im Herbst wieder dabei sein.
(Bericht von Rene Wagner, Christian Krämer, Maria Martinez, Reinhard Becker, redigiert von Kerstin Dörr – Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)
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