Berlin (Reuters) - Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) rechnet wegen anhaltender Kaufkraftverluste der Verbraucher infolge der hartnäckig hohen Inflation nicht mit einem kräftigen Aufschwung in Deutschland.
Berlin (Reuters) – Wächst die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr oder schrumpft sie? Führende Forschungsinstitute sind in dieser Frage gespalten.
Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) hob seine Wachstumsprognose am Mittwoch für 2023 von 0,3 auf 0,5 Prozent. Dagegen blieb das Münchner Ifo-Institut bei seiner Vorhersage vom Dezember, wonach das Bruttoinlandsprodukt um 0,1 Prozent nachgeben wird. Zum Vergleich: Die Bundesregierung geht bislang von einem Wachstum von 0,2 Prozent aus, nachdem es im vergangenen Jahr wegen Corona-Aufholeffekten noch zu einem Plus von 1,8 Prozent gereicht hatte.
“Der Konjunkturkompass zeigt wieder nach oben, allerdings bleibt die Aufwärtsdynamik verhalten”, sagte IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths. Nachlassende Materialenpässe dürften zum Aufwärtstrend beitragen, auch im laufenden ersten Vierteljahr dürfte es zu einem Wachstum reichen. Dagegen sieht das Ifo-Institut die größte Volkswirtschaft Europas in einer Winterrezession. “Die deutsche Wirtschaft schrumpft, und zwar seit Ende vergangenen Jahres”, sagte Ifo-Konjunkturforscher Timo Wollmershäuser. Im laufenden ersten Quartal werde das Minus mit 0,2 Prozent aber nur noch halb so groß ausfallen wie zuletzt. “Spätestens ab Jahresmitte werden steigende Reallöhne die Binnenkonjunktur stützen”, sagte Wollmershäuser. Für 2024 rechnen beide Institute mit einem Wachstum. Das IfW von 1,4 Prozent, das Ifo sogar 1,7 Prozent.
Keine Entwarnung geben beide Institute bei der Inflation. “Der Preisauftrieb wird wohl noch für einige Zeit hartnäckig hoch bleiben”, so die Kieler Forscher. Demnach werden die Verbraucherpreise in diesem Jahr um 5,4 Prozent steigen, 2024 dann um 2,1 Prozent. Im vergangenen Jahr lag die Teuerungsrate bei 6,9 Prozent. “Die hohe Inflation schmälert die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte und führt zu einem Rückgang der privaten Konsumausgaben im laufenden Jahr”, so das IfW. Es zeichne sich ein “merklicher Kaufkraftverlust” von 1,8 Prozent ab. “Ich denke, wir haben den Höhepunkt der Inflationswelle inzwischen erreicht”, sagte Ifo-Experte Wollmershäuser. Dafür sorgten etwa geringere Energiepreise. Allerdings sorge der kräftige Anstieg der Löhne für neuen Preisdruck.
Von weltwirtschaftlicher Seite sehen die Kieler Experten keine größeren Impulse für den Exporteuropameister kommen. “Allerdings können sich die Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe angesichts nachlassender Lieferengpässe daran machen, ihre zuvor angehäuften Auftragsbestände abzuarbeiten, auch wenn die nach wie vor hohen Energiepreise die energieintensiven Branchen belasten.” Die Bauinvestitionen dürften dagegen aufgrund der schlechteren Finanzierungsbedingungen infolge höherer Zinsen sinken.
“Der Arbeitsmarkt bleibt trotz der wirtschaftlichen Schwächephase robust”, schreibt das IfW. Die Arbeitslosenquote dürfte bei gut fünf Prozent verharren, die Zahl der Erwerbstätigen in diesem Jahr um knapp 300.000 auf mehr als 45,7 steigen. Allerdings dürften sich zunehmend die Folgen des demografischen Wandels zeigen. “In den kommenden Jahren wird die Erwerbstätigkeit ihren Zenit überschreiten”, warnt das IfW. “Der massive Fachkräftemangel wird in Anbetracht der hohen Inflation zu kräftigen Lohnsteigerungen führen.”
Der Staatshaushalt wird der Ifo-Frühjahrsprognose zufolge vorerst rote Zahlen schreiben. Das Defizit soll in diesem und im kommenden Jahr bei 1,3 bzw. 0,3 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Damit fiele das staatliche Finanzierungsdefizit deutlich geringer aus als noch im Dezember erwartet. “Insbesondere wurden die Ausgaben, die für die staatlichen Energiepreisbremsen veranschlagt wurden, um insgesamt gut 35 Milliarden Euro herabgesetzt, weil aus heutiger Sicht die Beschaffungspreise für Strom und Gas im Prognosezeitraum niedriger sind als erwartet”, heißt es dazu.
(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Reinhard Becker. – Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)
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