Frankfurt (Reuters) - Nach dem Produktionseinbruch im vergangenen Jahr erwartet die Chemiebranche 2023 keine Trendwende.
Frankfurt (Reuters) – Nach dem Produktionseinbruch im vergangenen Jahr erwartet die Chemiebranche 2023 keine wirkliche Verbesserung.
Zwar hellte sich die Stimmung in Deutschlands drittgrößtem Industriezweig dank der gesunkenen Energiepreise zuletzt etwas auf, wie eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage des Münchener Ifo-Instituts ergab. Aber die Kunden hielten sich wegen der Wirtschaftsflaute mit Bestellungen zurück, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands VCI, Wolfgang Große Entrup. “In der Chemieindustrie fehlen schlichtweg die Aufträge.” Deshalb werde es nicht wie nach der Pandemie oder der Weltwirtschaftskrise zu einer kraftvolle Erholung kommen.
Für 2023 rechnet der VCI mit einem Rückgang der chemisch-pharmazeutischen Produktion um fünf Prozent. Ohne Pharma dürfte es sogar ein Minus von acht Prozent werden. Die Preise sollen um zwei Prozent sinken, der Umsatz insgesamt um sieben Prozent. “Über dem Berg ist die Chemische Industrie noch nicht”, warnte auch Ifo-Branchenexpertin Anna Wolf. Allerdings machten die Forscher des Münchener Instituts im Februar auch ein paar Lichtblicke aus. So verbesserte sich die Versorgung mit Vorprodukten spürbar: Nur noch 17,4 Prozent der Unternehmen meldeten Engpässe. Im Dezember 2021 war hier mit 73 Prozent der Höchststand erreicht worden.
Ende vergangenen Jahres hatte sich die Talfahrt in der Chemiebranche auch den Daten des Verbands zufolge beschleunigt: Im vierten Quartal sank die Chemie- und Pharmaproduktion im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent – im Dezember lag die Produktion ohne Pharma sogar um fast 30 Prozent unter Vorjahr. Der Umsatz legte allein dank höherer Preise um knapp fünf Prozent zu. Im Gesamtjahr fuhr die Branche so ein Umsatzplus von mehr als 16 Prozent auf 265 Milliarden Euro ein, obwohl die Produktion um mehr als sechs Prozent zurückging.
Vor allem die Basischemie befindet sich im Sinkflug. Die Kapazitätsauslastung sank im vierten Quartal auf 76,5 Prozent und damit auf den tiefsten Wert seit der Finanzkrise 2009. Zwar sei der massive Einbruch der Wirtschaft, vor dem auch die Chemieindustrie gewarnt hatte, ausgeblieben. Gleichwohl hätten die Firmen vor großen Herausforderungen gestanden: “Der Winter war für alle ein Ritt auf der Rasierklinge”, sagte Große Entrup.
VCI – UNTERNEHMEN PRÜFEN INVESTITIONEN IN DEN USA
Die Lage der Branche am Standort Deutschland sei nach wie vor kritisch. “Viele Anlagen stehen noch heute still und es ist die Frage, ob sie jemals wieder angeworfen werden.” Von der Politik forderte der VCI erneut eine Verbesserung der Rahmenbedingungen. “Keines der Probleme, vor denen wir 2022 standen, ist gelöst. Und die Unsicherheit in unseren Unternehmen ist nach wie vor gigantisch”, klagte Große Entrup. Nötig sei vor allem ein international wettbewerbsfähiger Industriestrompreis zwischen fünf und zehn Cent je Kilowattstunde. Gegenwärtig liegt der Marktpreis bei etwa 13 Cent.
Genehmigungsverfahren müssten deutlich beschleunigt und Regulierung verringert werden, um den Industriestandort Deutschland zu stärken. Denn angesichts des amerikanischen Subventionspakets “IRA” prüften viele Unternehmen bereits, ob nicht Investitionen in den USA sinnvoller seien. “In allen Unternehmen laufen im Moment Bewertungen des amerikanischen Programms, was ja auch nur noch ein Sahnehäubchen ist auf dem sowieso schon attraktiven Standort USA.”
(Bericht von Patricia Weiß und Rene Wagner. Redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)
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