- von Reinhard Becker und Frank Siebelt Berlin/Frankfurt (Reuters) - Bei der ersten Zinssitzung der EZB in diesem Jahr sitzt ein Vertreter des neuen Euro-Mitglieds Kroatien mit am Tisch: Boris Vujcic, der Chef der Notenbank des Balkan-Landes.
– von Reinhard Becker und Frank Siebelt
Berlin/Frankfurt (Reuters) – Bei der ersten Zinssitzung der EZB in diesem Jahr sitzt ein Vertreter des neuen Euro-Mitglieds Kroatien mit am Tisch: Boris Vujcic, der Chef der Notenbank des Balkan-Landes.
Das neue EZB-Ratsmitglied hatte bereits kurz nach Einführung des Euro zu Jahresbeginn medienwirksam 50 Euro von einem Geldautomaten in Zagreb abgehoben und die drei Scheine stolz präsentiert. Nun wirkt der 58-Jährige an der Geldpolitik der Euro-Zone mit – und dies in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, die von hoher Inflation und Rezessionsgefahr geprägt sind.
Vujcic will sich nicht in eines der klassischen Lager im EZB-Rat einordnen lassen. Er wolle als ein “vernünftiger Zentralbanker” agieren und dazu beitragen, dass die Inflationsrate in Richtung des Ziels von zwei Prozent gedrückt werde, sagte Vujcic dem US-Nachrichtensender CNN. Dafür werde er sich einsetzen. Denn Inflation sei sowohl für das Wachstum als auch für den Lebensstandard schädlich. Irgendwann könne die EZB dann ihren Straffungskurs beenden. “Aber wir sollten nicht früher aufhören als notwendig, um die Inflation herunterzubewegen auf unser mittelfristiges Ziel von zwei Prozent,” warnte der langjährige kroatische Zentralbankchef.
EZB-Chefin Christine Lagarde bereitete das neue Ratsmitglied bereits auf harte Debatten vor. “Willkommen in der Familie”, sagte sie per virtueller Grußbotschaft zum Euro-Beitritt Kroatiens. Es sei eine fröhliche Familie, in der ab und zu auch gerungen werde. “Wir bekämpfen die Inflation wie wir es tun sollten, besonders zum jetzigen Zeitpunkt.”
Lagarde hatte Insidern zufolge auf dem jüngsten EZB-Zinstreffen Mitte Dezember einen schwierigen Kompromiss miteingefädelt, um eine Mehrheit für den schließlich verabschiedeten Zinsbeschluss zu zimmern. Die EZB drosselte das Tempo ihrer Zinserhöhungen zwar etwas, stellte zugleich aber weitere Straffungsschritte in Aussicht. Zudem kündigten die Währungshüter an, im Kampf gegen die hohe Inflation ab März auch die billionenschwere EZB-Bilanz zu verringern. Experten rechnen bei der EZB-Sitzung am 2. Februar mit einer weiteren Zinserhöhung von 0,50 Prozentpunkten.
Für sein Land sei die Euro-Mitgliedschaft ein sinnvoller Schritt, sagte Vujcic in dem CNN-Interview. Seit rund 30 Jahren habe Kroatien den Wechselkurs der Kuna zunächst an die D-Mark und dann an den Euro gekoppelt. Mit der Einführung der europäische Gemeinschaftswährung in Kroatien im Januar ist der Euro-Club auf 20 der 27 EU-Mitgliedsstaaten angewachsen. Vujcic widersprach Befürchtungen, dass sein Land zu den Sorgenkindern der Währungsunion (EWU) zählen werde. Trotz Energiekrise und weltweiter Konjunkturflaute erwartet er für Kroatien, das bereits seit 2013 Mitglied der EU ist, ein moderates Wachstum von 1,4 Prozent im laufenden Jahr. Mit dem Ziel der Mitgliedschaft in der Währungsunion im Auge, habe sich auch fiskalpolitisch viel getan. Denn die Regierung in Zagreb habe die Staatsverschuldung kräftig verringert. Von einer Staatsverschuldungsquote von einst über 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sei es 2022 wohl gelungen, den Wert unter 70 Prozent zu drücken.
Die Experten der DZ Bank weisen darauf hin, dass die durchschnittliche Ratingnote Kroatiens bei BBB+ liege und alle drei großen Ratingagenturen einen stabilen Ratingausblick für das Land veranschlagen. Die Ausfallwahrscheinlichkeit kroatischer Staatsanleihen auf Sicht von drei Jahren sei damit gering. “Mit Ausnahme des Corona-Krisenjahres liegt Kroatiens Wirtschaftsleistung seit Jahren bereits deutlich über dem EWU-Durchschnitt, die Wirtschaftsleistung pro Kopf ist aber eher gering,” schrieb DZ-Bank-Analyst Sebastian Fellechner in einer Kurzstudie. Die Gesamtverschuldung liege etwas höher als in anderen mittel- und osteuropäischen Staaten, sei aber im gesamten EWU-Vergleich nicht auffällig. Die Rezession in Europa und die Straffungspolitik der EZB bergen zwar aus Sicht des Analysten aktuell Risiken für das Land. Das Land mit seinen rund vier Millionen Einwohnern könne durch den Beitritt zur Währungsunion jedoch künftig auf potenzielle Unterstützung seitens der EWU-Institutionen setzen.
(Redigiert von Hans Seidenstücker; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)
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