Berlin (Reuters) - An sieben deutschen Airports ist ein ganztägiger Warnstreik von Verdi angelaufen, der den Flugverkehr weitgehend lahmlegt.
– von Klaus Lauer
Berlin (Reuters) – Ein ganztägiger Warnstreik von Verdi bringt den Flugverkehr an sieben deutschen Airports fast zum Stillstand.
Der Flughafenverband ADV rechnet bis Freitagabend mit dem Ausfall von rund 2340 Flügen und etwa 295.000 betroffenen Passagieren. “Es geht darum, ein wirklich kräftiges Signal zu setzen”, sagte die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle am Freitagmorgen im Inforadio. “Wir haben einen katastrophalen Arbeitskräftemangel.” Airlines und Flughäfen kritisierten den Arbeitskampf als überzogen. “Wenn wir heute Morgen in die Terminals der Flughäfen schauen, dann erinnert uns das eher an die schlimmsten Tage von Corona und weniger an einen Warnstreik”, sagte ADV-Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel im Bayerischen Rundfunk. “Wir hatten eine solche Eskalation durch Streikmaßnahmen wirklich noch nicht.”
Der Ausstand in Frankfurt, München, Stuttgart, Hamburg, Dortmund, Hannover und Bremen startete teilweise mit der Nachtschicht und führte schon am Donnerstagabend zu ersten Flugausfällen. Nur einzelne Flüge oder Sonderverbindungen finden statt, wie Türkei-Flüge mit Hilfsgütern für die Erdbebenregion. Verdi hat in drei laufenden Tarifkonflikten gleichzeitig die Beschäftigten zum Streik aufgerufen, um den Druck zu erhöhen. Wegen schlechter Jobbedingungen und geringer Bezahlung kehrten viele Beschäftigte den Flughäfen den Rücken zu, obwohl dort Personal aufgestockt werden müsste, warnte Behle. “Wenn sich jetzt nichts tut bei der Vergütung, dann wird uns allen wieder ein Chaos-Sommer bevorstehen – das müssen wir natürlich dringend verhindern.” Der Personalmangel hatte 2022 zu Warteschlangen, Verspätungen und Tausenden Flugausfällen geführt. Die Lufthansa kündigte bereits an, ihr Flugangebot für den Sommer 2023 auszudünnen.
An den Flughäfen war es sehr ruhig. “Heute Morgen sind die Terminals wie leer gefegt”, sagte eine Sprecherin des Hamburger Airports, wo keine Starts und Landungen stattfinden.
LUFTHANSA STREICHT 1300 FLÜGE – “VERDI ÜBERSPANNT DEN BOGEN”
Die Lufthansa etwa stellt den Flugbetrieb an ihren Drehkreuzen Frankfurt und München am Freitag komplett ein und streicht insgesamt über 1300 Flüge. “Am Samstag starten wir wieder in den Regelbetrieb”, sagte ein Konzernsprecher. Die Airline wollte sich aber nicht zu den finanziellen Auswirkungen des Streiks oder des jüngsten IT-Ausfalls äußern. In der Vergangenheit hatte Lufthansa Streikkosten in ähnlichen Fällen auf zehn bis 15 Millionen Euro pro Tag beziffert.
Airlines und Flughäfen sprechen von einer beispiellosen Eskalation. “Hiermit überspannt Verdi den Bogen völlig und trägt den Tarifkonflikt auf dem Rücken der Passagiere aus”, argumentiert der Präsident der Luftfahrtlobby BDL, Jost Lammers. Die Passagiere würden zum “Spielball der Verdi-Streiktaktik”, monierte der Flughafenverband ADV. “Das hat für uns nichts mehr mit einem Warnstreik zu tun, das grenzt schon an einen Generalstreik”, sagte ADV-Fachmann Beisel im ARD-Morgenmagazin. Die Airports spürten immer noch die Einbußen durch die Virus-Pandemie. “Die meisten Flughäfen schreiben auch in diesem Jahr noch tiefrote Zahlen”, ergänzte Beisel im Bayerischen Rundfunk.
VERDI: “DIE NÄCHSTEN STREIKS HABEN EINE ANDERE DIMENSION”
Verdi hat Beschäftigte im öffentlichen Dienst, das Bodenpersonal und die Belegschaft bei der Luftsicherheit zum Streik aufgerufen. Die Beschäftigten machten gemeinsam Druck auf die jeweiligen Arbeitgeber, weil man in den bisherigen Verhandlungsrunden nicht weitergekommen sei, sagte Behle. Im öffentlichen Dienst fordern Verdi und dbb-Tarifunion 10,5 Prozent mehr Geld, mindestens aber 500 Euro monatlich mehr. Vor der nächsten Verhandlungsrunde am 22. Februar droht Verdi-Chef Frank Werneke mit verschärften Protestaktionen. “Die nächsten Streiks haben eine andere Dimension”, sagt er im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Sollten die Arbeitgeber aber ein gutes Angebot vorlegen, könne man sich schnell einigen. Anderenfalls seien die Streiks an Flughäfen, im Nahverkehr oder in Kitas nur ein Vorgeschmack. “Hinzu kommen zum Beispiel die Müllabfuhr oder die Krankenhäuser.”
Der Streik betrifft auch die Münchner Sicherheitskonferenz, zu der ranghohe Politiker und Diplomaten aus der ganzen Welt anreisen. Erwartet werden neben Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Vizepräsidentin Kamala Harris viele Regierungschefs, Verteidigungs- und Außenministerinnen. Flüge im Zuge der Sicherheitskonferenz sollen am Münchner Flughafen nicht vom Streik betroffen sein. Teilnehmende, die nicht mit Regierungsmaschinen anreisen, müssen aber Alternativen finden.
(Bericht von Klaus Lauer, redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)
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