Larissa (Reuters) - Nach dem bisher schwersten Zugunglück in der Geschichte Griechenlands dürfte die Zahl der Toten nach Behördenangaben auf mehr als 50 steigen.
Larissa (Reuters) – Nach dem bisher schwersten Zugunglück in der Geschichte Griechenlands dürfte die Zahl der Toten nach Behördenangaben auf mehr als 50 steigen.
Bis Donnerstag wurde der Tod von 46 Menschen bestätigt, während zehn weitere noch vermisst wurden. Die Einsatzkräfte setzten ihre Suche nach Opfern in den Trümmern der beiden zusammengestoßenen Züge ohne Hoffnung auf weitere Überlebende fort. “Statt Leben zu retten, müssen wir Leichen herausholen”, sagte ein Mitarbeiter der Einsatzkräfte der Nachrichtenagentur Reuters am Unfallort nahe der Großstadt Larissa. Am späten Dienstagabend waren ein Intercity mit rund 350 Personen und ein entgegenkommender Güterzug frontal zusammengestoßen. Zahlreiche Menschen wurden verletzt.
Die Regierung hat Staatstrauer von Mittwoch bis Freitag angeordnet. In mehreren Städten, darunter in der Hauptstadt Athen, kam es zu Protesten gegen die Bahngesellschaften und die Regierung. Eisenbahner traten am Donnerstag im ganzen Land in den Streik, um gegen Sicherheitsmängel zu protestieren. Jahrelang hätten die Regierungen Forderungen nach technischen Verbesserungen ignoriert, lautet die Kritik. Ein Regierungssprecher räumte ein, eine Modernisierung des Bahnsystems sei jahrzehntelang verschleppt worden.
Nach Angaben von Behörden und Eisenbahnern verdichteten sich die Hinweise auf eine Fehlentscheidung eines Bahnmitarbeiters im Zusammenhang mit unzureichender Sicherheitstechnik. Der diensthabende Bahnhofsvorsteher von Larissa räumte nach Angaben seines Rechtsanwalts eine Mitverantwortung für das Unglück ein. Der 59-Jährige, der zum Unfallzeitpunkt für den Zugbetrieb auf der Strecke verantwortlich war, war am Mittwoch festgenommen worden und sitzt in Untersuchungshaft. Ihm werden fahrlässige Tötung und Körperverletzung in zahlreichen Fällen vorgeworfen. “Er ist buchstäblich am Boden zerstört”, sagte sein Anwalt Stefanos Pantzartzidis. “Er hat von Anfang an seinen Anteil an der Verantwortung übernommen.” Mehr könne er zunächst nicht sagen.
Im griechischen Fernsehen sprach ein Eisenbahnexperte von organisatorischen und technischen Mängeln, die zu dem Unglück geführt hätten. “Sie werden alles auf den Bahnhofsvorsteher schieben”, sagte der pensionierte Lokführer-Ausbilder Nikos Tsouridis. “Er war ausgebildet, aber unerfahren. Man hätte ihm niemals einen so wichtigen Bahnhof wie Larissa übertragen dürfen, und schon gar nicht allein.” Der Mann sei dort erst seit einem Monat eingesetzt worden. Angesichts technischer Mängel funktioniere das griechische Bahnsystem lediglich aufgrund seiner erfahrenen Mitarbeiter. “Warum gab es keine Sicherheitsvorkehrungen?”, fragte Tsouridis. Zwar habe der Bahnhofsvorsteher einen Fehler gemacht. “Aber natürlich muss es einen Sicherheitsmechanismus als Rückfalloption geben.”
Verkehrsminister Kostas Karamanlis hatte bereits am Mittwoch seinen Rücktritt erklärt und damit nach eigenen Angaben die Verantwortung für Versäumnisse bei der Modernisierung des Bahnnetzes übernommen. Der am Donnerstag ernannte Nachfolger , Giorgos Gerapetritis kündigte eine Aufarbeitung der Unfallursache und eine Modernisierung des Bahnsystems an. Das Eisenbahnnetz befindet sich in der Hand des staatlichen griechischen Bahnunternehmens OSE. Neben dem Verkehrsminister waren auch führende OSE-Manager zurückgetreten. Den Zugbetreiber Trainose hingegen hatte Griechenland im Jahr 2017 an die italienische Staatsbahn Ferrovie dello Stato Italiane (FS) verkauft. Die FS-Tochter firmiert inzwischen unter dem Namen Hellenic Trains.
In dem von Hellenic Trains betriebenen Intercity, der auf dem Weg von Athen nach Thessaloniki war, saßen viele junge Menschen. Obwohl die Bahnstrecke an der Unfallstelle zweigleisig ist, war der entgegenkommende Güterzug auf demselben Gleis unterwegs. Medienberichten zufolge sind auf der Strecke Fahrgeschwindigkeiten bis zu 160 Kilometern pro Stunde vorgesehen. Bei dem Frontalzusammenstoß wurden die Lokomotiven und mehrere Wagen aus den Gleisen geschleudert und weitgehend zerstört. Einige Personenwagen gingen in Flammen auf. Auch deswegen sprachen Einsatzkräfte von einer schwierigen Identifizierung der Opfer.
(Bericht von Lefteris Papadimas, Alexandros Avramidis, ReneeMaltezou und Michele Kambas, geschrieben von Jörn Poltz, redigiert von Birgit Mittwollen. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)
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