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Militärkonvoi vor Kiew – Russland bombardiert Städte in Ukraine

Von:
Reuters
Aktualisiert: Mar 1, 2022, 17:08 GMT+00:00

Kiew/Moskau (Reuters) - Russland steht im Ukraine-Krieg mit einem massiven Militärkonvoi vor Kiew und versucht offenbar, mit heftigem Beschuss von anderen Großstädten eine Entscheidung herbeizuführen.

Das Gebiet in der Nähe des regionalen Verwaltungsgebäudes, das nach Angaben der Stadtverwaltung von einem Raketenangriff getroffen wurde, im Zentrum von Charkiw, Ukraine, 1. März 2022. REUTERS/Vyacheslav Madiyevskyy

(Korrigiert im zweiten Satz des siebten Absatzes das Zitat von Bundeskanzler Scholz – “Die Ukraine kämpft buchstäblich um das Überleben”, nicht “Leben”)

Kiew/Moskau (Reuters) – Russland steht im Ukraine-Krieg mit einem massiven Militärkonvoi vor Kiew und versucht offenbar, mit heftigem Beschuss von anderen Großstädten eine Entscheidung herbeizuführen.

Fünf Tage nach Beginn der Invasion berichtete die US-Satellitenfirma Maxar am Dienstag, im Norden der ukrainischen Hauptstadt sei ein russischer Militärkonvoi von 64 Kilometer Länge zusammengezogen worden. Heftiger Beschuss wurde in der zweitgrößten ukrainischen Stadt Charkiw im Nordosten und der Hafenstadt Mariupol im Südosten des Landes gemeldet. Laut Verteidigungsministerium in Moskau hat das ukrainische Militär mittlerweile keinen direkten Zugang mehr zum Asowschen Meer.

Einem Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zufolge nimmt Russland bewusst Wohngebiete und Innenstädte unter Beschuss. “Russlands Ziel ist klar – Massenpanik, zivile Opfer und zerstörte Infrastruktur.” Bislang ist es den russischen Streitkräften nicht gelungen, trotz militärischer Übermacht eine der großen Städte unter ihre Kontrolle zu bringen. Ukrainische Streitkräfte und die Zivilgesellschaft stemmen sich vehement gegen die Invasion. Dies schürt Ängste, dass die russischen Kommandeure eine Taktik der Zerstörung anwenden könnten. “Der Schleier ist gefallen”, sagte Selenskyjs Berater Mychailo Podoljak. “Russland bombardiert aktiv die Stadtzentren, feuert gezielt Raketen und Artillerie auf Wohngebiete und Behörden ab.” Das russische Militär hatte eine ähnliche Taktik in Syrien und Tschetschenien verfolgt, wo die Städte Aleppo und Grosny in Schutt und Asche gelegt wurden.

Im Zentrum von Charkiw mit 1,5 Millionen Einwohnern schlugen am Morgen Raketen ein. Unter anderem seien Wohngebiete und ein Stadtverwaltungsgebäude getroffen worden, teilte die Regionalverwaltung mit. Dabei wurden laut Innenministerium mindestens zehn Menschen getötet und 35 verletzt. Präsident Selenskyj bezeichnete die Angriffe auf Charkiw als Staatsterrorismus. Bei einem Raketenangriff zwischen Charkiw und Kiew wurden ukrainischen Behörden zufolge 70 ukrainische Soldaten getötet. Die Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer stand ihrem Bürgermeister zufolge unter ständigem Beschuss. Dabei seien Infrastruktur sowie Schulen und Häuser zerstört worden, sagte Wadym Boitschenko. “Es gibt viele Verletzte. Es wurden Frauen und Kinder getötet.”

Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte laut Nachrichtenagentur Tass, die russischen Streitkräfte kontrollierten mittlerweile die ukrainische Küste am Asowschen Meer. Damit hätte Russland eine Landverbindung zwischen seinem Kernland und der 2014 von der Ukraine annektierten Halbinsel Krim geschaffen. Am Montag hatten russische Streitkräfte die Hafenstadt Berdjansk eingenommen, die etwa in der Mitte des ukrainischen Küstenstreifens liegt. Die Nachrichtenagentur RIA meldete ergänzend, die pro-russischen Separatisten in der Provinz Donezk in der Ost-Ukraine hätten die Reihen zu den russischen Streitkräften in dem Gebiet geschlossen.

USA WOLLEN DIREKTEN KONFLIKT VERMEIDEN

Unabhängig überprüfen ließen sich die Berichte nicht. Zudem gibt es keine verlässlichen Angaben über Verluste der russischen Streitkräfte. Ukrainischen Angaben zufolge verloren die Russen bislang 5710 Soldaten, 29 Flugzeuge und 198 Panzer. Nach Angaben der Vereinten Nationen haben mehr als 660.000 Menschen seit Beginn der Invasion am Donnerstag die Ukraine in Richtung Nachbarländer verlassen. In Polen sind davon laut Außenminister Zbigniew Rau bislang rund 400.000 Menschen angekommen. Die EU-Staaten haben angekündigt, alle Flüchtlinge aufnehmen zu wollen.

Das Europäische Parlament stuft Russland wegen der Invasion als “Schurkenstaat” ein. Dies geht aus einer Entschließung hervor, die das Parlament in einer Dringlichkeitssitzung verabschieden wollte. Ukraines Präsident Selenskyj war per Video der Sitzung zugeschaltet und appellierte: “Zeigen Sie, dass Sie an unserer Seite stehen.” Am Montag hatte der Präsident die Aufnahme seines Landes in die EU beantragt. “Die Europäische Union wird mit uns stärker sein, so viel ist sicher. Ohne Euch steht die Ukraine alleine da”, sagte Selenskyj. “Zeigen Sie, dass Sie Europäer sind, und dann wird das Leben über den Tod siegen, das Licht über die Dunkelheit.” Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte, die Entscheidung der EU, die Ukraine mit Waffen zu versorgen, sei in einem “russenfeindlichen Rausch” getroffen worden.

Bundeskanzler Olaf Scholz sieht eine dramatische Zuspitzung der Lage in der Ukraine. “Die Ukraine kämpft buchstäblich um das Überleben”, sagte Scholz in Berlin. Die russischen Truppenbewegungen seien derzeit “sehr umfassend”. “Wir dürfen uns nichts vormachen: Das wird noch eine ganz, ganz dramatische Zeit werden.” Die Bilder von Toten und Verletzten sowie zerstörten Gebäuden seien “nur der Anfang von dem, was wahrscheinlich noch kommt”.

Wegen des Krieges ziehen sich immer mehr europäische und amerikanische Firmen aus Aktivitäten und Beteiligungen in Russland zurück. Auch in Kultur und Sport werden Kontakte zu Russland abgebrochen. Die Stadt München trennte sich am Dienstag mit sofortiger Wirkung vom Chefdirigenten der Philharmoniker, Waleri Gergijew, wegen dessen Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Putin selbst spricht nicht von einer Invasion sondern von einer Friedensmission. Ziel sei, die Ukraine zu entnazifizieren und zu demilitarisieren. Erste Gespräche beider Seiten über einen Waffenstillstand am Montag brachten keine Annäherung. Laut Nachrichtenagentur Tass soll es am Mittwoch eine zweite Runde geben.

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