- von Oleksandr Kozkukhar und Natalia Zinets
– von Oleksandr Kozkukhar und Natalia Zinets
Lwiw/Brüssel (Reuters) – In der Ukraine mehren sich Hinweise auf eine bevorstehende russische Offensive im Osten des Landes.
Ukrainische Behörden riefen am Mittwoch die Bewohner des Bezirks Luhansk auf, die Region zu verlassen, solange das noch möglich sei. Kämpfe wurden auch aus dem Nachbarbezirk Donezk sowie aus der eingekesselten Stadt Mariupol im Südosten gemeldet. Das ukrainische Militär erwartet im Donbass, der Luhansk und Donezk umfasst, einen Großangriff der russischen Armee. Die nach Berichten über mutmaßliche russische Kriegsverbrechen angekündigte Ausweitung von Sanktionen nahm konkretere Formen an. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte eine unnachgiebigere Haltung des Westens.
In Siewierodonezk nordwestlich der Stadt Luhansk standen zehn Hochhäuser nach russischem Beschuss in Flammen, teilte der ukrainische Bezirksgouverneur mit. Dort sitzt die ukrainische Bezirksverwaltung, da Luhansk, Hauptstadt des gleichnamigen Verwaltungsbezirks, seit 2014 unter Kontrolle von prorussischen Separatisten steht. In Wuhledar im Bezirk Donezk seien durch einen russischen Granatentreffer zwei Zivilisten getötet worden, meldete der dortige Bezirksgouverneur. Besonders angespannt war nach britischen Angaben die Lage im unter Artilleriefeuer stehenden Mariupol, wo sich die humanitäre Lage weiter verschlechterte. Reuters konnte die Angaben nicht überprüfen. Ein westlicher Militärexperte erklärte, die russische Armee werde wegen ihrer Umgruppierung die Offensive zur angekündigten Einnahme des Donbass frühestens in einer Woche starten können.
Die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk kündigte elf Fluchtkorridore aus Kampfgebieten für Zivilisten an. Zuletzt scheiterten solche Pläne mehrfach. Dem Internationalem Roten Kreuz gelang es wiederholt nicht, nach Mariupol hineinzufahren. Russland und die Ukraine machen sich gegenseitig für den Bruch geplanter Feuerpausen verantwortlich, die zum Abbruch geplanter Evakuierungen oder Hilfslieferungen führten.
SELENSKYJ WILL HARTE SANKTIONEN
Vor dem irischen Parlament forderte Selenskyj eine Verschärfung der Sanktionen angesichts des Verdachts von Kriegsverbrechen. Einige Spitzenpolitiker und Wirtschaftsbosse hielten Kriegsverbrechen offenbar für nicht so schlimm wie wirtschaftliche Verluste, sagte er in einer Video-Ansprache. “Ich kann keine Unentschlossenheiten bei Sanktionen tolerieren nach dem, was russische Truppen getan haben.”
In dem Kiewer Vorort Butscha sollen russische Truppen nach ukrainischen Angaben Gräueltaten an Zivilisten begangen haben. Journalisten, die von ukrainischen Behörden nach Butscha gebracht worden waren, sahen Leichen auf den Straßen und in improvisierten Gräbern. Einigen der Toten waren die Hände zusammengebunden worden. Ukrainische Behörden sprechen von rund 300 Zivilisten, die von russischen Einheiten getötet und zum Teil gefoltert worden sein sollen.
Hinweise auf Kriegsbrechen gab es am Mittwoch auch aus dem benachbarten Ort Hostomel. Nach Angaben der ukrainischen Ombudsfrau für Menschenrechte, Ljudmyla Denissowa, werden über 400 Einwohner vermisst. Sie zitierte Augenzeugenberichte, nach denen einige getötet worden sein sollen. Russlands Außenministerium wies die Berichte über mutmaßliche Kriegsverbrechen erneut als Propaganda und Lügen zurück, die Sanktionen rechtfertigen und Friedensgespräche scheitern lassen sollten. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen wird am Donnerstag nach Angaben von Diplomaten über einen US-Antrag abstimmen, Russland wegen der Vorwürfe aus dem UN-Menschenrechtsrat auszuschließen.
MILITÄRHILFEN FÜR DIE UKRAINE SOLLEN AUSGEWEITET WERDEN
Die USA und ihre Verbündeten wollen wegen der mutmaßlichen Kriegsverbrechen den Druck auf Russland mit weiteren Sanktionen erhöhen. So sollen neue Investitionen in Russland verboten werden. Zudem würden Strafmaßnahmen gegen Banken und staatliche Unternehmen verschärft, teilte die US-Regierung mit. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen drohte ein Ölembargo an. “Jetzt müssen wir uns Öl anschauen und die Einnahmen, die Russland aus fossilen Brennstoffen bezieht”, sagte sie vor dem Europäischen Parlament.
Ungarn allerdings lehnte umgehend eine Ausweitung der Sanktionen ab. Auch in anderen EU-Ländern ist umstritten, ob sofort alle Energie-Importe gestoppt werden sollten. Damit würde zwar die russische Wirtschaft empfindlich getroffen, mehrere europäische Staaten wie Deutschland fürchten in dem Fall allerdings massive wirtschaftliche Rückschläge. Großbritannien erklärte, bis Ende 2022 würden Öl- und Kohleimporte gestoppt.
Der Westen will auch seine Militärhilfen für die Ukraine aufstocken. US-Außenminister Antony Blinken verwies auf Ausgaben von 100 Millionen Dollar, mit denen etwa Panzerabwehrsysteme finanziert werden sollen. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte die Lieferung “schnell wirkender” Waffen an.
Der Krieg in der Ukraine begann am 24. Februar. Russland hat sein Vorgehen zunächst als Spezialoperation zur Zerstörung militärischer Stützpunkte und Entnazifizierung des Landes bezeichnet. Nun wird in Moskau als Hauptziel die Eroberung der Ostukraine genannt. Der Westen spricht von einem nicht provozierten Angriffskrieg.
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