Berlin (Reuters) - Die Bundesregierung stellt sich hinter einen Vorschlag der EU-Kommission, auch einen Importstopp für russische Kohle auf die EU-Sanktionsliste zu setzen.
– von Andreas Rinke und Francesco Guarascio und Pavel Polityuk
Berlin/Brüssel/Lwiw (Reuters) – Als Reaktion auf die Tötung hunderter Zivilisten in der ukrainischen Ortschaft Butscha und den anhaltenden Krieg schnürt die EU ein neues Sanktionspaket gegen Russland.
Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters aus Regierungskreisen unterstützt die Bundesregierung dabei den Vorschlag der EU-Kommission, dass es auch einen schrittweises Kohleembargo gegen Russland geben soll. Auch Finanzminister Christian Lindner zeigte sich offen dafür. Die EU-Kommission hat den 27 EU-Regierungen demnach vorgeschlagen, die Einfuhr von Kohle, Holz, Zement, Gummi und Chemikalien sowie auch Kaviar und Wodka zu verbieten. Die geplanten neuen Sanktionen gegen Russland würden die dortige Wirtschaft treffen, sagten mehrere Top-Ökonomen zu Reuters.
Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg betonte aber, dass ein Importstopp für russisches Gas nicht zur Debatte stehe. “Es wird nicht funktionieren”, sagte er. Italien wies am Dienstag 30 russische Diplomaten aus, Dänemark 15 weitere. Am Montag Deutschland 40 Russen des Landes verwiesen, in Frankreich waren es 35. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bezeichnete den russischen Präsidenten Wladimir Putin als “eingebunkerten Kriegstreiber”.
UN-SICHERHEITSRAT BERÄT ÜBER TÖTUNGEN IN BUTSCHA
Die Berichte über die nach dem Abzug russischer Truppen aus der Region um Kiew gefundenen Toten in Butscha hatte weltweites Entsetzen ausgelöst. Der US-Satellitenbetreiber Maxar legte Bilder vor, auf denen schon während der russischen Besatzung Leichen zu sehen sein sollen. In einer E-Mail an Reuters erklärte Maxar, diese zeigten, dass die Toten wochenlang auf den Straßen gelegen hätten. Reuters-Reporter in Butscha sahen mehrere Leichen, die offenbar aus nächster Nähe erschossen wurden. Während die Ukraine sowie westliche Regierungen die Verantwortung für die Erschießungen bei den russischen Truppen sehen, die den Ort wochenlang besetzt hielten, weist Russlands Regierung die Vorwürfe zurück. Sie wirft der ukrainischen Seite Fälschungen vor. Der UN-Sicherheitsrat wollte sich noch am Dienstag mit den Vorfällen beschäftigen.
Einem russischen Medienbericht zufolge wurden die Gespräche zwischen Russland und der Ukraine am Dienstag per Videoschalte fortgesetzt. Dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zufolge wird es möglicherweise keine direkten Gespräche zwischen ihm und Putin geben. Zu Verhandlungen gebe es jedoch keine Alternative. Ein Treffen Putin/Selenskyj sei nur möglich, wenn es eine Einigung gebe, erklärte die russische Regierung.
Im Laufe der Woche wollen EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell einem EU-Sprecher zufolge Selenskyj in Kiew treffen. Auch Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer will nach Kiew reisen. Nach dem Abzug der Russen aus der nordukrainischen Großstadt Tschernihiw ist nach Angaben der Regionalbehörden von dort wieder eine direkte Straßenverbindung in die Hauptstadt Kiew offen.
KRIEG VERLAGERT SICH IN OSTEN DES LANDES
Der Kriegsverlauf konzentrierte sich unterdessen weiter auf den Osten und Süden. Die Regierung in Kiew erwartet nach eigenen Darstellung, dass im Osten etwa 60.000 russische Reservisten eingesetzt werden. Die Lage in der belagerten südukrainischen Hafenstadt Mariupol war nach Darstellung Selenskyjs “sehr schwierig”. Mehrere Versuche des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Zivilisten aus der Stadt zu bringen, blieben in den vergangenen Tagen erfolglos.
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko sprach von fast 20.000 russischen Soldaten, die seit der Invasion am 24. Februar in der Ukraine ums Leben gekommen seien. Belege lieferte er nicht. Die Ukraine und westliche Länder sprechen von einem russischen Angriffskrieg und einer Invasion, die am 24. Februar begonnen hat. Russland hatte sein Vorgehen dagegen zunächst als Spezialoperation zur Zerstörung militärischer Stützpunkte und “Entnazifizierung” bezeichnet. Nun wird in Moskau als Hauptziel die Eroberung der Ostukraine genannt.
Bundespräsident Steinmeier schließt normale Beziehungen des Westens zu Russland aus, solange Putin an der Macht ist. Putin nehme einen “totalen politischen, wirtschaftlichen, moralischen Ruin des Landes” hin für “seine imperialen Träume oder für seinen imperialen Wahn”, sagte er im ZDF. Dabei räumte Steinmeier eigene Fehler ein. Man hätte nach 2014 mehr auf Warnungen osteuropäischer Partner hören sollen. Dazu gehöre, dass der Bau der Nord-Stream-2-Gaspipeline durch die Ostsee hätte gestoppt werden sollen. “Deshalb war das Festhalten sicher ein Fehler.” Der ehemalige Außenminister wies jedoch den Vorwurf zurück, es sei seit Jahrzehnten klar, wie sich Putin entwickeln werde. Der russische Präsident des Jahres 2022 sei nicht derselbe wie der von 2001: “Auf der Strecke ist etwas passiert.”
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