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Grüne, FDP und SPD geraten beim Haushalt 2024 aneinander

Von:
Reuters
Aktualisiert: Feb 16, 2023, 16:37 GMT+00:00

- von Andreas Rinke und Holger Hansen und Christian Krämer

ARCHIV: Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Plenarsaal des Deutschen Bundestages in Berlin, Deutschland

– von Andreas Rinke und Holger Hansen und Christian Krämer

Berlin (Reuters) – In der Ampel-Koalition herrscht offener Streit über die Aufstellung des Bundeshaushalts für 2024.

Die Grünen sorgen sich, dass SPD und FDP milliardenschwere Ausgabenwünsche für eigene Projekte verabreden. In einem ungewöhnlich deutlichen Briefwechsel kommt es darüber zu einem Schlagabtausch zwischen Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne), über den Reuters am Mittwoch berichtet hatte. Habeck kündigte die vom Finanzministerium vorgegebenen Eckdaten für die Einnahmen und Ausgaben 2024 auf. Das Finanzministerium hatte zu Beginn des Haushaltsverfahrens zum Sparen aufgerufen und von einer Finanzierungslücke von zwölf Milliarden Euro gesprochen. Mittlerweile übersteigen die Ausgabenwünsche aller Ressorts die vom Finanzministerium gezogene Obergrenze um mehrere Dutzend Milliarden Euro.

In den Reuters vorliegenden Briefen forderte Habeck den FDP-Chef unter anderem auf, “keine weiteren öffentlichen oder internen Vorfestlegungen zu treffen, die einseitig weitere Ausgaben priorisieren”. Ausdrücklich nannte er dabei “stellvertretend für die von den Grünen geführten Ministerien” die Bereiche Aktienrente, Bundeswehr und Umsatzsteuerermäßigung für die Gastronomie. Für die von Lindner propagierte Aktienrente denkt Lindner an einen weiteren zweistelligen Milliardenbetrag, und zur Aufstockung des Wehretats hat Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zehn Milliarden Euro im Blick.

Laut “Handelsblatt” summieren sich für 2024 die zusätzlichen angemeldeten Wünsche auf fast 70 Milliarden Euro. Dies sei “absolut unerfüllbar”, werden Quellen im Bundesfinanzministerium zitiert. Die geplante Obergrenze für Ausgaben von 424 Milliarden Euro müsse bleiben. “Vor dem Hintergrund der zusätzlichen Haushaltsbelastungen wie dem erheblichen Mehrbedarf bei den Zinsausgaben wird die Haushaltsaufstellung 2024 eine große Herausforderung”, so der SPD-Haushälter Dennis Rohde.

Bei den Grünen schrillen deshalb die Alarmglocken: “Das muss schon verwundern, dass SPD und FDP mehr für die Bundeswehr ausgeben wollen und das Finanzministerium große Steuersenkungen im Frühjahr plant”, heißt es in Parteikreisen. Beides stehe nicht im Koalitionsvertrag. Von den Grünen dort verankerte Vorhaben wie die Kindergrundsicherung seien dagegen in den vom Finanzministerium vorgelegten Eckwerten überhaupt nicht eingeplant. Auch die frühere Verabredung, dass für jeden Euro mehr für Verteidigung im gleichen Umfang mehr Geld in die Entwicklungspolitik fließen solle, finde sich nicht wieder.

Zwei Tage nach der Berlin-Wahl schlug Habeck daher in seinem Brief vor, dass man in der Ampel auch darüber beraten solle, “wie wir Einnahmen verbessern”. Man müsse “neue und alternative Wege” finden, um politische Projekte zu verwirklichen und die Schuldenbremse einzuhalten. Da noch keine Vorschläge auf dem Tisch lägen, “können wir die Eckwerte (für den Haushalt 2024) so auch nicht akzeptieren”. Dies stieß in der Wirtschaft auf Kritik. “Dieser ungewöhnliche Vorgang ist ein Alarmsignal für all jene, die sich Tag für Tag engagieren, um ihr Unternehmen in diesen schweren Zeiten am Laufen zu halten”, kritisierte Reinhold von Eben-Worlée, Präsident der Familienunternehmer.

FDP SAUER AUF GRÜNE

Finanzminister Lindner wies die Forderung Habecks in einem Reuters vorliegenden Brief zurück. Er wundere sich, dass die grünen Ministerien die Eckwerte für den Haushalt 2024 nicht mehr akzeptierten. Dabei seien diese vom Bundeskabinett am 16. März 2022 ebenso wie der Finanzplan bis 2026 beschlossen worden. Daran fühle sich das Finanzministerium gebunden, betont der FDP-Politiker. Zudem warnte er, der Wunsch, keine Priorisierung vorzunehmen, würde nicht nur die Bundeswehr treffen sondern auch die “Bildungsmilliarde” zur Stärkung der Schulen. Die war aber mit dem Bildungsministerium bereits vereinbart.

“Ich verfolge das mit Interesse, weiß aber auch, dass im November das Parlament der Haushaltsgesetzgeber ist”, sagte FDP-Chefhaushälter Otto Fricke zu Reuters. Er verwies auf das übliche Verfahren: Die Regierung beschließt im März Eckwerte für den Etat des nächsten Jahres, im Sommer den Haushaltsentwurf – das letzte Wort haben aber die Haushälter.

Neuer streit um die schuldenbremse

Die Ausgabenwünsche haben auch den Streit um die Einhaltung der Schuldenbremse neu entfacht. Habeck betonte in seinem Brief zwar, auch er wolle die Schuldenbremse nicht infrage stellen. Vereinbart seien aber auch andere Projekte, die keinesfalls nachrangig zur Einhaltung der Schuldenbremse stünden. In seinem Brief kontert Lindner, politische Vorhaben im Koalitionsvertrag seien nachrangig zur im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse. Süffisant fügt er mit Blick auf Habecks Bekenntnis zur Schuldenbremse hinzu: “Mit Erleichterung habe ich aufgenommen, dass die von den Grünen geführten Ministerien das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland nicht infrage stellen.” Für die FDP-Ministerien schließe er Steuererhöhungen “oder sonstige strukturelle Mehrbelastungen” für Bürger und Firmen aus.

Im Umfeld Lindners heißt es, der FDP-Chef habe auf Habeck reagieren müssen. “Wir haben sonst die Sorge, auf eine schiefe Ebene zu kommen”, hieß es. In der Ampel-Koalition schwelt seit langem ein Streit um die Einhaltung der Schuldenbremse. Die FDP beharrt auf der Einhaltung im kommenden Jahr und hat die Unterstützung von Kanzler Olaf Scholz. Die Grünen und auch SPD-Chefin Saskia Esken haben sich offen für eine weitere Aussetzung gezeigt, weil nötige Investitionen Vorrang hätten. Ein Aushebeln der Schuldenbremse wäre aber nur mit der Begründung einer Notsituation möglich.

“Grün und Gelb haben beim Haushalt diametral gegensätzliche Vorstellungen”, sagte CDU/CSU-Fraktionsvize Mathias Middelberg zu Reuters. Den Grünen sei die Verfassung mit der Schuldenbremse egal. Die FDP halte formal die Bremse hoch, habe sie 2022 aber “durch den Schulden-Wumms auf Vorrat schlicht umgangen”.

(Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

Über den Autor

Reuterscontributor

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