London/Frankfurt (Reuters) - Die Notenbank in London bekämpft mit erneuten Not-Anleihekäufen Gefahren für die Finanzstabilität und steuert auf eine kräftige Zinserhöhung zu.
London (Reuters) – Trotz Turbulenzen am Anleihenmarkt und Rezessionssorgen will die Notenbank in London bald einen großen Zinsschritt wagen.
Dies machte der Chefvolkswirt der Bank of England (BoE), Huw Pill, am Mittwoch deutlich. Er glaubt, dass “eine deutliche geldpolitische Reaktion” auf die Nachrichten der vergangenen Wochen aus der Wirtschaft und von den Märkten erforderlich sein werde. Der BoE sitzt die hohe Inflation von zuletzt 9,9 Prozent im Nacken. An den Finanzmärkten wird für den Zinsentscheid Anfang November auf eine Erhöhung um einen vollen Prozentpunkt auf 3,25 Prozent spekuliert.
Die Zentralbank will die Zinszügel in turbulenten Zeiten anziehen: Die Wirtschaft ist im August überraschend geschrumpft und steuert Richtung Rezession. Die BoE muss zudem als Krisenfeuerwehr am Anleihenmarkt agieren, der angesichts der von der Regierung geplanten schuldenfinanzierten Steuersenkungen nicht zur Ruhe kommt.
Die BoE trat aber Spekulationen über einen längeren Kriseneinsatz am Anleihenmarkt entgegen. Sie betonte, dass die vorübergehenden und gezielten Stützungskäufe am Freitag enden sollen. Ein Sprecher der BoE verwies darauf, dass Notenbankchef Andrew Bailey diese Position am Dienstag bestätigt habe. Diese Haltung sei im Kontakt mit den Banken auf höchster Ebene “absolut deutlich” gemacht worden. Die “Financial Times” hatte zuvor berichtet, die BoE habe den Kreditgebern signalisiert, dass sie zu einer Verlängerung ihres Notkaufprogramms für Anleihen bereitstehe.
Nach dem Dementi der Notenbank warfen Investoren britische Staatsanleihen aus den Depots. Im Gegenzug stieg die Rendite der 20-jährigen Anleihen auf ein 14-1/2-Jahres-Hoch von 5,141 Prozent. Unter Verkaufsdruck gerieten auch die Pensionsfonds-Anbieter. Die Branche gilt als Haupt-Leidtragende der jüngsten Kursturbulenzen an den Bond-Märkten.
Gefragt war dagegen das Pfund Sterling, das sich um 0,7 Prozent auf 1,1039 Dollar verteuerte. Anleger glaubten den Beteuerungen der Notenbank offenbar nicht, sagte Anlagestratege Ben Laidler vom Online-Broker eToro. “Es ist unvorstellbar, dass die Bank of England bei anhaltenden Spannungen am Bondmarkt nicht weiterhin zumindest ein gewisses Maß an Unterstützung bietet.”
Die BoE hatte erst am Dienstag den vorübergehenden Kauf inflationsgeschützter Papiere angekündigt. Diese werden in der Regel von Pensionsfonds gehalten. BoE-Chef Bailey signalisierte bereits am Dienstag, diese Fonds und andere Investoren hätten nur noch diese Woche Zeit, um ihre Probleme zu lösen.
Der neue Finanzminister Kwasi Kwarteng hatte jüngst mit Plänen für schuldenfinanzierte Steuersenkungen Zweifel an der Finanzierbarkeit dieser Entlastungen geschürt. Milliardenschwere Geldspritzen der BoE beruhigten die Lage nur kurzfristig. In mehreren Wellen kam es immer wieder zu einem Ausverkauf am Anleihenmarkt. Laut der Notenbank entstand dadurch eine “materielle Gefahr” für die Finanzstabilität, der sie mit den zusätzlichen Notmaßnahmen begegnen will.
Die BoE muss nun zudem in wirtschaftlich äußerst unsicheren Zeiten den geldpolitischen Kurs abstecken. Sie rechnet damit, dass die Wirtschaftsleistung im Sommerquartal leicht zurückgegangen sein dürfte. Aktuelle Zahlen des Statistikamtes zeigen, dass die Notenbank damit richtig liegen dürfte. Die Wirtschaft ist im August überraschend geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging zum Vormonat um 0,3 Prozent zurück – Industrie und Dienstleister schwächeln gleichermaßen.
Im Zeitraum Juni bis August schrumpfte das britische BIP um 0,3 Prozent. Und die Perspektiven für den Herbst und Winter sind angesichts der Energiekrise nicht rosig: Die Wirtschaftsleistung dürfte sich stark verlangsamen, da die steigende Inflation die Haushalte trifft und die Notenbank weiter unter Zugzwang setzt, die Leitzinsen deutlich anzuheben.
(Bericht von William James, Shubham Kalia, Ankur Banerjee und Vidya Ranganathan, geschrieben von Reinhard Becker, Hakan Ersen,; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)
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