Frankfurt (Reuters) - Der russische Angriff auf die Ukraine löst einen Ausverkauf an den internationalen Börsen aus.
– von Hakan Ersen und Anika Ross
Frankfurt (Reuters) – Die Börsen weltweit taumeln nach dem russischen Angriff auf die Ukraine einem ihrer schwärzesten Tage entgegen.
Investoren warfen am Donnerstag panikartig Aktien aus ihren Depots und drückten den deutschen Leitindex Dax unter die psychologisch wichtige Marke von 14.000 Punkten. Im Rohstoffsektor rechnen Börsianer mit einer massiven Angebotsverknappung durch Sanktionen gegen den Öl- und Erdgaslieferanten Russland, was die Preise nach oben katapultierte. Im Zuge dessen stieg der Ölpreis erstmals seit 2014 wieder über 100 Dollar je Fass, was Ängste vor einem neuen Inflationsschub schürte. “So unberechenbar die politische Eskalation und Lage ist, so greifbar sind jetzt doch die denkbaren weltwirtschaftlichen Auswirkungen”, fasste Thomas Böckelmann vom Vermögensmanagement Euroswitch zusammen.
Weltweit stieß das Vorgehen Russlands auf Fassungslosigkeit. Die EU kündigte ein neues und beispielloses Sanktionspaket an. Dax und EuroStoxx50 steuerten mit einem Minus von jeweils etwa fünf Prozent auf 13.903 und 3793 Punkte auf den größten Tagesverlust seit etwa zwei Jahren zu. Die Terminkontrakte auf die US-Indizes rutschten um bis zu 2,9 Prozent ab. Anleger flohen auch aus russischen Vermögenswerten: der Moskauer Leitindex RTS brach um knapp 40 Prozent ein, der russische Rubel fiel in der Spitze auf ein Rekordtief.
“Ich glaube nicht, dass sich bereits viele Anleger mit der Kombination aus steigender Inflation, die zuletzt Anfang der 80er Jahre wirklich zu sehen war, und einer umfassenden Militäroperation in Europa, die wiederum zuletzt im Zweiten Weltkrieg stattfand, auseinandersetzen mussten”, sagte Neil Wilson, Chefmarktanalyst bei Markets.com. “Das ist ein Vertrauensverlust. Das ist für viele Leute eine Art Neuland.”
GAZPROM UND WESTLICHE WERTE MIT RUSSLAND-ENGAGEMENT FALLEN
US-Präsident Joe Biden gab bereits grünes Licht für Sanktionen gegen die umstrittene Gas-Pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland. Aktien des Gasförderers Gazprom verloren knapp 40 Prozent. In hohem Bogen aus den Depots flogen auch die Papiere des deutschen Versorgers Uniper und des österreichischen Ölkonzerns OMV, die an der Finanzierung der Pipeline beteiligt sind. Uniper-Titel verbuchten einen Rekord-Kurssturz von 16,8 Prozent. OMV-Papiere brachen in Wien um 7,7 Prozent ein.
Hart traf es außerdem Firmen mit einem starken Russland-Engagement. So steuerten die Aktien der österreichischen Raiffeisen Bank mit einem Minus von 20 Prozent auf den größten Tagesverlust seit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 zu.
EXPLODIERENDE ROHSTOFFPREISE SCHÜREN INFLATIONSANGST
Gleichzeitig verteuerte sich die Rohölsorte Brent aus der Nordsee um bis zu 9,2 Prozent und markierte mit 105,79 Dollar je Barrel (159 Liter) ein Siebeneinhalb-Jahres-Hoch. Der europäische Erdgas-Future steuerte mit einem Plus von gut 40 Prozent auf 118 Euro je Megawattstunde auf den größten Tagesgewinn seit zweieinhalb Jahren zu.
Das im Automobil- und Flugzeugbau eingesetzte Aluminium und das in Lebensmittel-Dosen verwendete Zinn, zu deren wichtigsten Exporteuren Russland ebenfalls gehört, kletterten auf Rekordhochs von 3449 Dollar beziehungsweise 45.410 Dollar je Tonne. “Durch die Sanktionen wird Russland seine Rohstoffe nicht an den Westen verkaufen können oder wollen”, warnte Analyst Ricardo Evangelista vom Brokerhaus ActivTrades. “Dies wird die aktuellen Angebotsengpässe noch verschärfen.”
Aus dem gleichen Grund kletterte der europäische Weizen-Future auf ein Rekordhoch von 344 Euro je Tonne. “Die Ukraine steht für ein Viertel des weltweiten Agrarhandels”, gab Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets zu bedenken.
Da die steigenden Rohstoffpreise den Inflationsdruck verschärfen und gleichzeitig die Konjunkturaussichten verschlechtern, rätselten Börsianer über die Reaktion der Notenbanken darauf. Thomas Gitzel, Chef-Volkswirt der VP Bank, dämpfte allerdings Hoffnungen auf frische Geldspritzen, da die wirtschaftlichen Folgen des Konflikts bislang überschaubar seien. “Die Inflationsrisiken wiegen zu schwer.”
ANLEGER FLIEHEN IN “SICHERE HÄFEN”
Unterdessen flüchteten einige Anleger in “sichere Häfen” wie Gold. Der Preis für die “Antikrisen-Währung” stieg um bis zu 3,5 Prozent auf ein 18-Monats-Hoch von 1973 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm). Analyst Jeffrey Halley vom Brokerhaus Oanda traut dem Edelmetall einen Sprung über das bisherige Rekordhoch von 2072,50 Dollar vom August 2020 zu.
Die Weltleitwährung war ebenfalls begehrt. Der Dollar-Index, der den Kurs zu wichtigen Währungen widerspiegelt, stand mit einem Plus von 1,1 Prozent vor dem größten Tagesgewinn seit zwei Jahren.
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